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35 Jahre Detmold lutherisch — Ein Blick zurück

„Bewirb dich da“, sagte mein Mann, der damals noch nicht mein Mann war. Wir hatten im Pfarrerblatt die Anzeige der lutherischen Gemeinde in Detmold gelesen. In meiner Wohnung in Köln kramte ich erstmal den Atlas hervor: Detmold, wo ist das überhaupt? “Kann ich nicht“, sage ich, „ist eine andere Landeskirche.“ Damals waren wir viele, die ins Pfarramt drängten und jede Landeskirche „versorgte“ ihre Studienabgänger, aber eben keine, die aus einer anderen Landeskirche kamen. Ich hatte mein ganzes Studium lang auf der Liste der rheinischen Theologiestudierenden gestanden. „Doch“, sagte mein Mann, „bewirb dich da, die haben ein erfolgloses Wahlverfahren innerhalb ihrer Landeskirche hinter sich und schreiben nun landeskirchenübergreifend aus…“. So begann unsere Geschichte mit Detmold-lutherisch.

Christa Willwacher-Bahr und Ulrich Bahr führen ein Brautpaar aus einer Kirche nach der Trauung.

Nachdem ich gewählt war, besuchte ich Detmold, um zu entscheiden, ob ich die Wahl annehmen wollte. Die Stadt erinnerte mich an meinen Studienort Tübingen. Auf dem Marktplatz traf ich Frau Stuckenschmidt, die damalige Leiterin des Kindergartens, die mich erkannte und sofort unter ihre Fittiche nahm: „Unsere Eltern freuen sich schon auf Sie.” Sie fuhr mit mir in die Emil-Peters-Straße, zeigte mir das Pfarrhaus und den Kindergarten, lud mich zum Kaffee ein – sie wohnte damals in einer Wohnung direkt im Kindergarten – und erzählte mir alles, was ich wissen wollte.

Ich nahm die Stelle an. Drei männliche Pfarrkollegen und eine weibliche Pfarrkollegin würde ich haben, ich war gespannt. Und dann wechselte  Pfarrerin Pfeiffer-Kuebart aus familiären Gründen an die Berufsschule nach Lemgo. Das Pfarr-Team bestand dann aus vier Männern und mir. Ich fremdelte bereits im Einführungsgottesdienst: große Kirche – ich war eine kleine Wohnzimmerkirche gewöhnt –, große Kantorei, gesungene Liturgie, jeden Sonntag Abendmahl, Psalmodieren im Kindergottesdienst, Frühgottesdienste im Chorraum, ein einschüchternd großer Kirchenvorstand beeindruckten mich sehr.

Christa Willwacher-Bahr gerastert aus der Zeitung
Christa Willwacher-Bahr, Januar 1990

Ich übernahm einen Jugendkreis von meiner scheidenden Kollegin. Zum Glück, denn mit Jugendlichen fühlte ich mich „safe“. Allerdings war schon eine Sommerfreizeit geplant, es sollte mit Fahrrädern rund um den Bodensee gehen. Ich brauchte noch eine männliche Begleitperson und sofort meldete sich der Kirchenälteste Günter Ellger und fuhr mit. So habe ich unseren Kirchenvorstand in all den Jahren erlebt: hoch engagierte kompetente Männer und Frauen und inzwischen auch viele junge Leute, die fair diskutieren und immer bereit sind, sich einzusetzen und Verantwortung zu übernehmen.  

Der Kindergarten „Senfkorn“ war schnell mein Herzensanliegen und blieb es die ganze Zeit. Einmal stand ein kleiner Junge vor mir, stemmte die Hände in die Hüften und sagte: „Du warst aber lange nicht hier.“ Da wusste ich, es war Zeit, mal wieder zum Erzählen biblischer Geschichten vorbeizukommen. 

Die Kinderbibeltage im Frühjahr fanden immer in Kooperation mit der Kita statt. Eine Mutter berichtete mir lächelnd, sie sei mit ihrem Kind an der Martin-Luther-Kirche vorbeigekommen und das Kind habe auf die Kirche gezeigt: „Hier wohnt Frau Willwacher-Bahr“.  

Die Kirche ist mir tatsächlich im Laufe der Zeit zu einem zweiten Zuhause geworden:  mit ihren liturgisch geprägten Gottesdiensten, mit Feiertagen, die ich bisher noch gar nicht auf dem Schirm hatte: Epiphanias, Johannis und Michaelis. Besonders Michaelis hat in den letzten Jahren mit den gregorianisch geprägten Singprojekten für mich einen besonderen Stellenwert bekommen. Die Kirche ist mir aber auch als Raum ans Herz gewachsen: Es war spannend zu sehen, wie der Raum sich verändert durch Ausstellungen, die ihn eine Zeit lang schmücken und dann wieder verschwinden, durch die Anschaffung neuer Antependien, durch ein verändertes Lichtkonzept usw. Wie oft habe ich mich privilegiert gefühlt, im Besitz des Kirchenschlüssels zu sein und die Kirche auch zu ungewöhnlichen Zeiten zum Beten nutzen zu können, wenn das Herz voll war.

Christa Willwacher-Bahr in der Kita Senfkorn Detmold
Christa Willwacher-Bahr in der Kita Senfkorn Detmold

Innovation und Bewahren des Bestehenden – beide Strömungen gab es in der Gemeinde, und für mich als Berufsanfängerin mit rheinisch-unierter Prägung war es nicht leicht, in dieser ausdrücklich lutherisch geprägten Gemeinde, und umgekehrt hatte man es auch mit mir nicht leicht. Gehalten hat mich mein Mann – wir heirateten ein halbes Jahr nach meinem Dienstbeginn im Oktober 1990 in der Martin-Luther-Kirche und teilten uns später fünf Jahre lang eine Stelle, gehalten haben mich unsere Kinder, nach deren Geburten ich insgesamt fünf Jahre in der Gemeindearbeit pausierte, gehalten hat mich der Kirchenvorstand, besonders die Vorsitzende Hedwig Eisenhardt, die mit ihrer klugen verbindlichen Art immer wieder vermittelte, gehalten haben mich die Kollegen, besonders Pfarrer Summa, der immer wieder fragte: „Frau Willwacher-Bahr, was meinen Sie denn dazu?”, gehalten hat mich die Freude an Seelsorge, Gottesdienst und Unterricht und besonders die Arbeit mit jungen Menschen. Ich hatte jahrzehntelang eine Viertelstelle als Religionslehrerin in einer Realschule, was mir immer wieder vor Augen führte, wie Menschen außerhalb des kirchlichen “Inner Circle” denken und glauben.

Viel hat sich geändert in all den Jahren. 

Die Gemeindegliederzahl ist um circa die Hälfte zurückgegangen, die Pfarrstellen entsprechend gekürzt, wir teilen uns einen Pfarrer mit Lutherisch-Hiddesen, die Jugendarbeit liegt in den professionellen Händen eines Jugendmitarbeiters, der Kindergarten ist Familienzentrum geworden mit einer dritten Gruppe für die unter Dreijährigen, die Digitalisierung ist fortgeschritten und hat unser Auftreten in der Öffentlichkeit, im Gemeindebrief, auf der Homepage, Instagram et cetera verändert – in meiner Anfangszeit wurden die Artikel des Gemeindebriefes noch zurechtgeschnitten und einzeln aufgeklebt. 

Unsere Kirchenmusik erstrahlt immer noch durch großartige Orgelmusik an der jetzt ‚neuen‘ Paschenorgel und eine große Kantoreiarbeit. Ein wunderbarer Kirchenchor an der Dreifaltigkeitskirche, ein mitreißender Gospelchor, eine starke Singschule und inzwischen auch eine flotte Band sind dazugekommen. Die Gesprächskreise leiten sich weitgehend selbst, da die Pfarrpersonen  weniger geworden sind und nicht mehr überall dabei sein können. Die Predigtstätten sind weniger geworden, wir hatten anfangs noch Gottesdienste in den reformierten Kirchen am Hiddeser Berg, Heidenoldendorf und Remmighausen, das Gottesdiensttableau aber hat sich erweitert um den Jungen Gottesdienst, den Gottesdienst für Große und Kleine, Gottesdienste zur Tauferinnerung, Gospelgottesdienste, Kitaanfangsgottesdienste…

Hedwig Eisenhardt (1922-2020)
Hedwig Eisenhardt (1922-2020)

Die Arbeit auf Stadtkonventsebene mit den Nachbargemeinden ist nach wie vor intensiv und zeigt sich in ökumenischen Aktionen wie dem Himmelfahrtsgottesdienst, den Passionsandachten und dem Tauffest; erfreulicherweise sind inzwischen auch die freievangelischen Gemeinden selbstverständlich mit dabei. Die Arbeit des Hauses der Kirche, die wir viele Jahre in gemeinsamer Trägerschaft mit der ev.-ref. Kirchengemeinde Detmold-Ost hatten, tragen wir inzwischen selbst. 

Mein Pfarrkollege Harald Klöpper, der die Arbeit des Hauses der Kirche seinerzeit initiierte, war auch derjenige, der die Partnerschaft mit Durban, Südafrika „erfand“. Diese Partnerschaft lebte von den gegenseitigen Besuchen und dem Gespräch über den Glauben in unterschiedlichen kulturellen Kontexten. Diese Partnerschaft existiert nicht mehr, ebenso nicht die mit den Städten Weimar und Zeitz. Der kirchliche Unterricht hat längst keinen Unterrichtscharakter mehr. Unsere Angebote zur Vorbereitung auf die Konfirmation sind durch die Minikonfis bereichert worden.  Durch Freizeiten, Praktika, Konfi-Camps, Unternehmungen, Aktionen wie ‚Brot backen für einen guten Zweck‘, längeres Zusammensein an einem Samstagvormittag… ist viel mehr an gemeinsamem Erleben möglich. 

Familienfreizeiten sind weniger geworden, dafür gibt es Studienreisen und Pilgertouren.

Christa Willwacher-Bahr segnet in Durban

Manches ist auch gleich geblieben: Wir haben immer noch einen Kirchenvorstand, der konstruktiv, kompetent, mit großem Sachverstand und mit hohem Einsatz Gemeinde leitet. Es gibt immer noch engagierte Mitarbeiter*innen im Büro und im Küsterdienst und in der Kirchenmusik, die mitdenken und mitziehen – was für eine Freude, mit Euch allen zu arbeiten! Viele Menschen arbeiten nach wie vor ehrenamtlich mit, mit denen es einfach nur Spaß macht, Gemeinde zu gestalten!  Und wir sind ein Pfarrteam, wo man sich gegenseitig Freiraum lässt, gemeinsam nach vorne denkt und einander vertraut.

Auch ich habe mich verändert, vielleicht bin ich in den letzten Jahren politischer, konservativer und spiritueller geworden: Formen und Rituale sagen mir heute mehr als früher. Im Geiste habe ich schon des Öfteren Abbitte getan bei all jenen, die ich mit meinem früheren „Modernisierungswillen” überrumpelt habe.

Ich bin sehr dankbar, dass ich nach einer langen Krankheit vor vier Jahren  wieder in den Beruf zurück konnte. Besonders dankbar bin ich meinen Kollegen, die mich in dieser Zeit mit großer Selbstverständlichkeit vertreten haben. Nach dem Wiedereinstieg habe ich angefangen, mich bewusst zu verabschieden und zurückzublicken, loszulassen und Arbeitsbereiche zu übergeben. Schon jetzt lassen mich die Überlegungen auf Kirchenvorstandsebene gespannt sein auf das, was sich in den nächsten Jahren in Detmold-lutherisch, aber auch in der gesamten Detmolder kirchlichen Landschaft tun wird. Es wird gut weitergehen, so Gott will. 

Danke allen, die ich in 35 Jahren in Detmold kennenlernen und begleiten durfte! Wo ich etwas schuldig geblieben bin, bitte ich von Herzen um Verzeihung. Ich bin gespannt auf das, was ich jetzt für mich und mit meiner Familie neu entdecke. Und ich freue mich auf ein Wiedersehen in der Kirche und auf dem Markt mit Ihnen und Euch, liebe Detmolder und Detmolderinnen.

Christa Willwacher-Bahr

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