„Höher, weiter, schneller…“ – so geht es wohl oft in unserem Alltag zu. Meine Kraftquelle geht nach dem Motto:
„Höher, weiter, aber Schritt für Schritt“. Ich tanke in den Bergen auf, denn meine Kraftquelle ist das Bergwandern – mit allen Sinnen, für alle Sinne.
Riechen: Wenn ich auf einen Berg gehe, geht es früh raus. Immerhin sind die Anstiege oft fordernd – und je später ich starte, desto mehr komme ich in die Mittagswärme. Außerdem: Frische, klare Luft am Morgen ist schon mein erster Push für die Seele.

Fühlen: Worauf kann ich mich verlassen? Ja, auf die Familie und Freunde – das ist viel wert. Aber kann ich mich auch auf mich verlassen? Das wird mir bewusst, wenn ich die Wanderschuhe schnüre. Sie geben mir Halt, aber nur wenn ich den geeigneten Weg finde. Ob er aus lauter Wurzeln besteht, aus Geröll oder zu erklimmen ist– jeder Schritt muss überlegt sein. Dieses Fokussieren auf den Weg, Schritt für Schritt. Auch das ist es, was mir Kraft gibt – wenn alle Zeit- und Aufmerksamkeitsräuber hinter mir zurückbleiben.
Hören: Alles ist eins – ich darf eintauchen in die perfekte Umgebung, ein Hörbild, das aus so vielen verschiedenen Mosaiksteinchen besteht. Zu Beginn meiner Tour begleiten mich die Restgeräusche der Alltagswelt von Reifen parkender Autos, Stimmengewirr und allerlei mehr. Aber schon bald begleiten mich nur noch das Rauschen der Blätter, das Singen unzähliger Vögel und das Knirschen von Steinen unter meinen Wanderschuhen.

An sich ist das schon der nächste Kraftimpuls – nur die Geräusche des eigenen „Jetzt“. Ich steige höher und die Klangkulisse verändert sich: Immer weniger rauschende Bäume, immer weniger singende Vögel, dafür die eine oder andere Glocke von Tieren einer nahegelegenen Alm.
So klingt es, wenn Geschwindigkeit egal ist. Entspannung kann man hier hören. Und hier spüre ich, wie ein Slogan für den Sound des Radios im Tal auch für den Klang in den Bergen gilt: Geht ins Ohr, bleibt im Kopf – ich ergänze: und gibt Kraft.
Sehen: Enge kann auch mal gemütlich sein, aber Enge kann vor allem schwächen: Ob räumliche Enge oder zeitliche Enge – sie raubt Kraft. Und auf dem Weg zum Berg? Die Natur ist einfach da und wirkt auf vielfältige Weise auf mich ein: Bäume zeigen mir, was „gut verwurzelt“ bedeutet, Blumen beweisen, dass es auf scheinbar geschlossenen Felsen Platz zum Blühen gibt und der Blick vom Gipfel lässt mich in die Weite blicken. All das gibt mir Kraft – die Bäume sagen „sei sicher“, die Blumen sagen „sei zuversichtlich“ und der weite Blick bis in die Ferne sagt mir „das Leben ist schön“.

Schmecken: Zu einer solchen Wanderung gehört auch immer eine Brotzeit oder Jause – und das ist so viel mehr als nur Nahrungsaufnahme. Oben auf dem Berg ist es einfach, praktisch und ursprünglich. Entweder gibt es auf der Speisekarte, was von einer nahegelegenen Alm kommt oder zumindest von Bauernhöfen oder Betrieben aus dem Tal. Kaspressknödel, Käse- und Speckbrett („Jausenbrettl“) und Strudel – ehrliche, authentische Küche ohne Geschnörkel. Wer so mit der Heimat verbunden und in sich ruhend auf der Hütte kocht, überträgt diese Kraft mühelos auf mich. Und wenn ich beim Abstieg an einer reinen Quelle vorbeikomme, fühlt sich selbst das pure Wasser wie ein echter Zaubertrank an.
Am Ende der Wanderung sind die Kraftspeicher aller Sinne wieder gefüllt, für etwas mehr Gelassenheit beim „Höher, Weiter, Schneller“ – obwohl es schon sein kann, dass „schneller“ zumindest in einer Hinsicht gilt: „schneller“ wieder zur Kraftquelle zurück.
Rüdiger Lang