„Schon wieder eine Geschichte, in der es um Freibad, Schwimmen und den Sommer geht“, dachte ich, als ich das Buchcover sah… „Das täuscht“, hörte ich von meiner Lieblingsbuchhändlerin. Sie empfahl mir diesen unbedingt lesenswerten Roman über die einzigartige Freundschaft zwischen der 15-jährigen Linda und dem an Demenz erkrankten 86-jährigen Hubert. Die Geschichte wird aus Lindas Perspektive erzählt, die immer wieder in Gedanken durchspielt, wie sie ihr Leben beenden möchte.
„Ich werde vor ein Auto laufen. Die Menschen werden sich um mich scharen und mit weit aufgerissenen Augen auf meine blutenden Wunden starren. Wenn mein linker Arm gut zu liegen kommt, werden sie den Säbelzahntiger auf meinem Unterarm sehen. Die Welt wird stillstehen und endlich wird jemand es aussprechen: Das Mädchen braucht Hilfe!“
Linda geht es besser, sobald sie sich um Hubert kümmert. Sie sind Nachbarn und Linda verbringt dreimal wöchentlich den Nachmittag bei Hubert, um seine polnische Pflegerin Ewa zu entlasten.
Hubert und ihr Schulfreund Kevin, sagt Linda gleich zu Beginn, seien die beiden Menschen, die sie von ihren düsteren Gedanken abhalten. Hubert ist pensionierter Bademeister, der stolz darauf ist, dass bei ihm nie ein Kind ertrunken ist. Das ist ihm so wichtig, dass er sich daran länger als an alles andere, etwa an seine Ehefrau oder seine Tochter, erinnern kann, während die Demenz sein Gehirn mehr und mehr zerstört.
Huberts Tochter hat Linda gebeten, auf ihren Vater aufzupassen, denn er muss inzwischen rund um die Uhr betreut werden. Linda bietet unglaublich viele Ideen auf, um Huberts Dahindämmern mit witzigen Spielen und Gesprächsangeboten zu unterbrechen. Sie merkt, dass es keinen Sinn mehr hat, mit ihm, wie die Tochter vorgeschlagen hat, Fotoalben anzuschauen, weil er die abgebildeten Menschen nicht mehr erkennt. Stattdessen macht sie gemeinsam mit ihrem Freund Kevin Tonaufnahmen im Freibad, weil sie Hubert in Kontakt mit seiner Vergangenheit bringen möchte, holt die Kinder-Schwimmflügel aus dem Keller und veranstaltet mit Hubert Schwimmtraining im Trockenen im Wohnzimmer und macht ihn für Stunden glücklich damit.
„Wie viele?“, fragt Hubert, als er die Schachtel sieht. „Elf“, antworte ich. Hubert stellt sich neben mich, vergräbt die Hände in den Hosentaschen und atmet tief aus, als ich die Schachtel öffne: Original BEMA Schwimmflügel, orangefarben, in unterschiedlichen Größen. (…) Jetzt ist Hubert Bademeister. Ein leiser Wind säuselt durchs Wohnzimmer. Kindergeschrei. Es riecht nach Chlor und Sonnencreme. Hubert sortiert Schwimmflügel nach Größen, überprüft ihre Funktionalität, pumpt sie auf und grinst, als hätte er in der Lotterie gewonnen. Ich bringe ihm sein weißes Cappy und setze es behutsam auf seinen Kopf.“
Drei Frauen kümmern sich um Hubert. Die Pflegerin Ewa, die in einem Zimmer, „Kleinpolen“ genannt, in Huberts Wohnung lebt, ist rund um die Uhr im Einsatz, eine enorme Leistung. Sie legt den Fokus auf Menschlichkeit und Würde, versorgt Hubert liebevoll mit Selbstgemachtem aus ihrer Heimat. Dann Huberts Tochter. Sie ist überfordert mit der Situation, kann den gesundheitlichen Zustand ihres Vaters kaum ertragen und überlässt die direkte Betreuung gern Ewa und Linda.
Linda trägt wenig Verantwortung und kann die Stunden, in denen sie mit Hubert allein ist, frei gestalten. Ihr gelingt dadurch ein feinfühliger und spielerischer Umgang mit Hubert. Linda und Hubert verbindet, dass sie beide auf ihre Art nicht mit ihrem Leben klarkommen, er kann keine Pläne mehr für die Zukunft machen. Linda will es nicht, sie weiß nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen soll.
„Bezüglich des Umgangs mit Demenz können wir auf alle Fälle von Linda lernen. Es braucht Kreativität und Herz. Das begreift Linda sehr schnell, und sie hat keine Scheu, danach zu handeln,“ sagt die Autorin Petra Pellini. Sie erzählt mit Wärme und Humor, nimmt dem Thema durch witzige Dialoge zwischen Hubert und Linda souverän seine Schwere und hat hunderte von Ideen, wie man mit demenzkranken Menschen kreativer, humorvoller und geduldiger, als wir es gewohnt sind, umgehen könnte.
In einem Interview schildert die Autorin, wie ihr beruflicher Hintergrund in das Schreiben eingeflossen ist: „Ich brauchte nicht viel zu recherchieren, da ich erlebt habe, was es bedeutet, wenn Betroffene sich selbst verlieren, Angehörige Unterstützung brauchen und Pflegende überfordert sind. Zudem gab es zahlreiche Situationen, in denen ich tief berührt, überrascht, begeistert war, Tränen in den Augen hatte oder schmunzeln musste.“
Petra Pellini, geboren 1970 in Vorarlberg, lebt und arbeitet in Bregenz. Sie war lange in der Pflege demenzkranker Menschen tätig. Für einen Auszug aus ihrem Roman «Der Bademeister ohne Himmel» wurde sie 2021 mit dem Vorarlberger Literaturpreis ausgezeichnet.
Susanne Schüring-Pook
