In meiner Studentenzeit fuhr ich öfter mal auf die Nordseeinsel Pellworm, wo einer meiner Freunde aus der Schulzeit seinen Zivildienst ableistete. Auf diese schöne Insel kommt man nur mit einer Fähre, und darum brauchen alle Bewohner und auch regelmäßige Besucher der Insel den Fährkalender, auf dem alle Abfahrts- und Ankunftszeiten zu finden sind. Zur besseren Orientierung waren (und sind vermutlich immer noch) in diesem Kalender die Feste des Jahres markiert – aber in friesischer Kargheit wirklich nur die wichtigsten – nur die, die wirklich auch alle auf der Insel angehen… Also: Ostern, Weihnachten, Konfirmation.
Diesen erstaunlichen Dreiklang im Pellwormer Fährkalender habe ich nicht vergessen. Irgendwie bringt er für mich auf den Punkt, welche Bedeutung die Konfirmation für fast alle Angehörigen unserer evangelischen Kirche über Jahrhunderte hatte und wohl auch immer noch hat. Selbst wenn man nicht allzu oft Angebote der Kirchengemeinde wahrnimmt – ein durchaus typisches evangelisches Verhalten – so gilt doch: Konfirmation muss sein. Konfirmiert werden muss man. Und wenn die Konfirmation eines Jugendlichen aus der eigenen Familie ansteht, dann geht man auch – vielleicht nach langer Zeit mal wieder – in die Kirche.
Als ich mich später in Leipzig mit der Kirchengeschichte der DDR beschäftigte, habe ich erfahren, dass das „Phänomen Konfirmation“ nach dem Zweiten Weltkrieg sogar die kommunistischen Ideologen in Moskau beschäftigte. In ihrem neuen Besatzungsgebiet hatten es die Sowjets mit einer kirchlichen Tradition zu tun, die sie bisher nicht kannten. Die allermeisten Menschen dort waren evangelisch – also längst nicht so eifrige Kirchgänger wie im benachbarten katholischen Polen. Aber die Kirche blieb für die Menschen trotzdem unverzichtbar wichtig – vor allem, weil sie alle Jugendlichen im Alter von 14 Jahren öffentlich segnete. Darauf konnten und wollten die Menschen nicht verzichten – und das war den Kommunisten ein Dorn im Auge. Eine Ersatzhandlung musste her, um die Menschen von der Kirche wegzubekommen. So wurde auf Anordnung Moskaus im Osten Deutschlands die Jugendweihe eingeführt, eine Art „sozialistische Konfirmation ohne Gott“ (es gibt sie immer noch, wenn auch heute ohne Sozialismus…). Ein Alleinstellungsmerkmal der protestantisch geprägten DDR – nirgendwo sonst im sogenannte Ostblock gab es diese Feiern.
Offenbar hatte der Reformator Martin Bucer, ein Schüler Luthers und Zwinglis, der als „Erfinder der Konfirmation“ gilt, damit also einen Nagel auf den Kopf getroffen. 1539, als er den Auftrag übernahm, die Kirchenordnung für die neu gegründete Landeskirche von Hessen zu schreiben, führte er die Konfirmation dort zum ersten Mal verbindlich für alle Gemeinden ein. Schon bei Bucer findet sich der Vierklang, der evangelische Konfirmationen bis heute prägt: Die Konfirmandinnen und Konfirmanden sollen sich bei der Konfirmation an ihre Taufe erinnern – ihren Glauben bekennen – zum ersten Mal das heilige Abendmahl empfangen – und den Segen empfangen. Sogar die feierlichen Worte des so genannten Konfirmandensegens, der heute noch bei der Konfirmation gesprochen wird, gehen auf Bucer zurück:
„Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist schenke dir seine Gnade,
Schutz und Schirm vor allem Bösen,
Stärke und Hilfe zu allem Guten,
auf dass du bewahrt wirst
zum ewigen Leben.
Friede sei mit dir.“
Martin Bucer
Ganz neu war Bucers „Erfindung“ freilich nicht. Schließlich kannte auch die Kirche vor der Reformation das Sakrament der Firmung (die in der lateinischen Kirchensprache confirmatio heißt – eigentlich ist Firmung und Konfirmation also dasselbe Wort). Dieses Sakrament hatte sich aus der Salbung im Anschluss an die Taufe entwickelt, die dann später zeitlich von dieser getrennt wurde. Weil die Firmung als „Befestigung“ (so die eigentliche Bedeutung des Wortes) im „vollen Glauben“ verstanden wurde – und bis heute in der katholischen Kirche so verstanden wird – soll der Firmling im mündigen Alter sein, und nur ein Bischof konnte (und kann) diese Salbung und Segnung durchführen.
Der besondere Akzent der evangelischen Konfirmation liegt dem gegenüber aber seit der Reformation darauf, dass es nun der Pastor (oder die Pastorin) ist, der die Konfirmation vornimmt – also die Person ist, die die Konfirmanden vorher im Konfirmandenunterricht begleitet und auf die Konfirmation vorbereitet hat. Statt des Salböls also nun der Unterricht… Die Befestigung im Glauben soll nicht durch einen Ritus, sondern das gemeinsame Lernen geschehen – und im Idealfall auch durch die während dieser Unterrichtszeit entwickelte Beziehung der „Konfis“ zu ihrem Pastor bzw. zu ihrer Pastorin. Nicht von ungefähr gab es früher diese Konfirmationspostkarten, auf der ein einzelner Konfirmand oder eine einzelne Konfirmandin mit nur einem segnenden Pastor zu sehen war. Daran muss ich immer denken, wenn ich nach der Konfirmation über den Kirchplatz von Familie zu Familie gehe und dann hin und wieder doch ein Foto in der Konstellation „Konfi + Pastor“ geschossen wird…
Aber jede/jeder, der Konfirmandenunterricht erteilt – und wahrscheinlich ja auch fast jede/Jeder , der ihn mal erlebt hat – weiß: So ideal ist es nicht immer. Nicht alle Konfirmanden wollen vor ihrer Konfirmation unbedingt viel lernen… und der größere Teil der feierlichen Konfirmationsfeiern ist faktisch eher der Beginn eines langen Lebensabschnittes (fast) ohne Kirche, als der eines Mitlebens mit der Gemeinde… Die meisten tauchen nach der Konfirmation erst mal ab – und die wenigsten tauchen sofort danach wieder auf.
Aber immerhin: Unsere Gemeinde arbeitet seit Jahren daran, solche „Auftauchstationen“ für Konfirmierte zu schaffen, und ihnen so auch Gelegenheit zu geben, ihr Konfirmationsversprechen „als evangelische Christen im Glauben an Jesus zu wachsen und in seiner Gemeinde zu bleiben“ auch praktisch umzusetzen. Alle Pfarrer bieten Jugendlichen im Anschluss an die Konfirmation die Möglichkeit, sich als Teamer im Konfirmandenunterricht oder bei der Vorbereitung der „Gottesdienste für Große und Kleine“ einzubringen. So „befestigen“ sie sich weiter im Glauben, indem sie Verantwortung in der Gemeinde übernehmen. Unser neuer Jugendreferent Felix Märtin will diese Angebote weiter ausbauen, damit unsere Gemeinde wirklich zu einem Ort des miteinander Lebens und -Glaubens auch für Jugendliche werden kann. Dass wir das als Gemeinde miteinander so in die Wege geleitet haben, macht mich dankbar und glücklich.
Und doch werde ich wohl auch nach dieser Konfirmation manche Jugendliche für lange Zeit nicht mehr wiedersehen… Ich muss an eine kecke Konfirmandin denken, die mir mal sagte: „Ihr Segen, der ist doch wirklich gut, der hält doch bestimmt für lange Zeit, so dass ich dazu ja jetzt erstmal nicht mehr in die Kirche kommen brauche…“ Ich denke, das war nur halb scherzhaft gemeint. Der Segen, um den geht’s, und um den geht’s vor allem – er ist am Ende wichtiger als der Lernstoff, wichtiger auch als das Bekenntnis zum Glauben, das bei manchen ehrlicherweise nur ganz zaghaft erfolgen kann. Aus der Sicht der Familien war das wahrscheinlich schon immer so, und wenn ich (wie in diesem Jahr noch einmal) als Vater einer Konfirmandin auf die Konfirmation schaue und nicht als Pastor – dann empfinde ich das ja auch selber so. Es ist gut, dass ich den Jungen und Mädchen in einer Lebensphase, in der sich für sie alles verändert und zugleich so vieles noch gar nicht klar ist, ein Zeichen und ein Wort der Ermutigung mitgeben darf, nicht einfach so, sondern im Namen Gottes. Und das nicht allein, sondern unterstützt von Eltern und/oder Paten, die bei der Segnung mit dazukommen, von einem Jugendreferenten, der mit mir unterrichtet und für die Jugendlichen da ist – und beauftragt von einer Gemeinde, die Räume für Jugendliche bietet und neu schafft.
„Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist schenke dir seine Gnade, Schutz und Schirm vor allem Bösen, Stärke und Hilfe zu allem Guten…“ Dass es das Böse gibt in dieser Welt und wie mächtig es werden kann – das müssen wir leider alle erleben in diesen Zeiten (und unsere Jugendlichen wissen das ganz genau). Wie gut, wenn Gott mich segnet und mir verspricht, seine ganze Kraft einzusetzen, um mich dagegen zu schützen, um mir durchzuhelfen bei dem Übergang in diese wirre und gar nicht immer gute Welt der Erwachsenen. Um mich einzuhüllen in seinen Schutz und mir Kraft zu geben, in dieser Welt trotzdem nach dem Guten zu suchen – ja, das Gute zu tun. Damit es trotzdem gut wird, gut mit mir und meinem Leben…
Frank Erichsmeier