Unter dem Motto: One body, one spirit, one hope – Ein Körper/Leib, ein Geist, eine Hoffnung – fand die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes im September 2023 in Krakau statt. Anderthalb Wochen tagten wir mit Menschen aus aller Welt zu dieser Thematik.
Neben den großen Sitzungen im Plenarsaal gab es auch Zeit für Austausch in kleinerer Runde – in unseren sogenannten Dorfgruppen trafen wir uns jeden Tag, um über Vorträge, Wahlen, Anliegen unserer Regionen und persönliche Impressionen zu sprechen. Die Gruppen wurden gelost und ich hatte großes Glück, in einer englischsprachigen Dorfgruppe zu landen, in der afrikanische, asiatische, amerikanische und europäische Personen zusammensaßen. Unsere Perspektiven darauf, was Kirche eigentlich ist und was ihre Rolle in der Gesellschaft ist, unterschieden sich sehr stark. Und dennoch hatten alle Anwesenden eins gemeinsam: wir hatten uns alle auf den Weg nach Krakau gemacht und nahmen an diesem Treffen teil, weil wir ein großes Interesse haben, den jeweils anderen zuzuhören.
Kontroverse Meinungen traten bei Diskussionen rund um die Toleranz gegenüber LGBTQIA+-Themen und bezüglich der Sicht auf den jüdisch-christlichen Dialog auf. Vermutlich sind mir Differenzen in diesen Themenbereichen besonders aufgefallen, weil wir in Deutschland gerade beginnen, uns damit auseinanderzusetzen, wie Kirche zu einem Ort ohne Diskriminierung und ohne Ausgrenzung werden kann.
Zwischendurch gab es auch Zeit für den „Jarmark“, der dem Markt der Möglichkeiten auf dem deutschen Kirchentag gleicht. Das Deutsche Nationalkomitee des LWB hat dort seine Stipendienarbeit vorgestellt und hatte einen Büchertisch, den ich mit betreut habe. Überrascht hat mich, dass sämtliche Werke, die von Martin Luther handelten, sich einer großen Nachfrage erfreuten. Mehrfach wurde ich gefragt, wie es sein kann, dass ich als Deutsche noch nie in Wittenberg war. Um Martin Luther scheint es in einigen Regionen der Welt einen regelrechten Personenkult zu geben.
Eine interkulturell herausfordernde Erfahrung war es, mit einer internationalen Gruppe zusammen nach Auschwitz zu fahren. Mit der deutschen Delegation waren wir Anfang des letzten Jahres bereits nach Krakau und unter anderem auch nach Auschwitz gefahren. In den darauffolgenden Gesprächen wurde deutlich, dass der Besuch innerhalb der deutschen Gruppe sehr ähnliche Emotionen hervorgerufen hat. Der zweite Besuch in Auschwitz hat mir gezeigt, wie stark die eigene kulturelle Herkunft prägt, wie auf diesen Ort reagiert wird.
Sehr bewegend waren für mich Gespräche mit den skandinavischen Mitgliedern meiner Dorfgruppe, die mir sagten, dass es ihnen nicht mehr so sehr um die Schuld der Deutschen gehe, sondern für sie sich die Frage stelle, wie sich ihre Länder während der NS-Zeit verhalten haben und welche Optionen es gegeben hätte, um das Leid der verfolgten Menschen zu verhindern. Aus der Vergangenheit lernen und gemeinsam einen Blick in die Zukunft richten – diese Perspektive hat mir an diesem Ort, an dem ich mit Entsetzen und Leid, aber auch großen Schuldgefühlen konfrontiert war, sehr gut getan.
Neben diesen persönlichen Gesprächen nach dem Auschwitz-Besuch gab es nahezu jeden Abend einen Ausklang in der Kneipe, die zu unserem Studierendenwohnheim gehörte, in dem wir alle untergebracht waren. Diese informellen Gespräche haben den Charakter der Vollversammlung mit bestimmt, weil es viel Raum gab, um einander kennenzulernen und voneinander zu lernen.
Nicht nur Vorversammlungen sind Teil der Vollversammlung, sondern auch Nachtreffen. Im November fand dieses bei unseren Nachbarn in der Schaumburg-Lippischen Landeskirche statt. Bezüglich der Vollversammlung stellten wir fest, dass wir uns in Krakau in verschiedenen Gruppen bewegt und dadurch unterschiedliche Eindrücke gesammelt hatten. Besonders gespannt sind wir darauf, wie der LWB in den kommenden Jahren das beschlossene Ziel, bis 2030 klimaneutral zu werden, umsetzen wird.
Auf innerdeutscher Ebene war der Besuch bei unseren Nachbarn spannend im Hinblick auf den Umgang mit den rückläufigen Zahlen der Kirchenmitgliedschaften und den daraus resultierenden Zusammenschlüssen von Ortsgemeinden. Im Landeskirchenamt in Bückeburg bekamen wir einen Einblick in die Fusionsmethode der Landeskirche, deren Priorität es ist, die einzelnen Kirchengemeinden in den Fusionsprozess einzubeziehen. Dafür wurde ein Konzept entwickelt, das die Schaumburg-Lippische Landeskirche in kleine Regionen unterteilt. Innerhalb dieser Gebiete treffen sich dann ehrenamtliche und hauptamtliche Mitglieder, die für ihre Gemeinden sprechen, so dass demokratisch nach Wegen gesucht wird, wie Fusionen sinnvoll gestaltet und von den betroffenen Gemeinden selbst gesteuert werden können.
Im Januar wird noch ein Nachtreffen in Hannover stattfinden, zu dem alle kommen, die von einer deutschen Landeskirche zur Vollversammlung nach Krakau geschickt worden sind. Bei diesem Treffen wird noch einmal in größerer Runde reflektiert, welche Fortschritte die Vollversammlung erwirkt hat und welche Anfragen weiterhin bestehen. Die Vorschläge, die keinen Raum in Krakau gefunden haben, werden anschließend von den Vertreterinnen und Vertretern in den international arbeitenden Rat getragen.
Für mich geht damit die Zeit als Jugendvertreterin der Lippischen Landeskirche beim LWB zu Ende, aber keine Sorge: für eine Nachfolgerin im Jugendausschuss ist bereits gesorgt. Ab dem Frühjahr wird Annika Kuhn aus Lemgo unsere Landeskirche vertreten. Sie engagiert sich seit Jahren in der Lemgoer Gemeinde und studiert Physik. Nicht-TheologInnen sind im Jugendausschuss immer besonders gern gesehen, weil unsere Diskussionen davon leben, dass möglichst viele verschiedene Sichtweisen eingebracht werden. Annikas naturwissenschaftliches Know-How wird dort auf offene Ohren stoßen und sie wird sicherlich dazu beitragen, dass neue Wege eingeschlagen werden und um die Ecke gedacht wird.
Henrieke Körner