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Dörte Hansen: Zur See

Woher kommt unsere Liebe zum Meer und die ewige Sehnsucht nach einer Insel? 

„ Alle Inseln ziehen Menschen an, die Wunden haben, Ausschläge auf Haut und Seele. Die nicht mehr richtig atmen können oder nicht mehr glauben, die verlassen wurden oder jemanden verlassen haben. Und die See soll es richten, und der Wind soll pusten, bis es nicht mehr weh tut.“ So schreibt Dörte Hansen in ihrem neuen Roman „Zur See“. Auch in „Altes Land“ und in „Mittagsstunde“ beschreibt sie Kargheit und Öde und die Schwierigkeiten des (norddeutschen) Landlebens und der Menschen dort, die auf gestresste, auf dem Land vergeblich Erlösung suchende Großstadtbewohner treffen. 

Dörte Hansen formuliert das in „Zur See“ so: „Ein Haus am Meer gekauft. Das Luftschloss festgemacht mit Backstein, Rosenhecke und Alarmanlage. Und dann ernüchtert festgestellt, dass es nicht schwebt.“ oder „Das Heer der Ungetrösteten scheint jeden Tag zu wachsen, und alle sitzen irgendwann in einer Inselkirche“.

Diese klare Sprache, die alles genau auf den Punkt bringt, hat mich gleich wieder fasziniert, es gibt kein Wort zu viel. In einem Interview sagt Dörte Hansen, sie habe sich den Text immer und immer wieder vorgesprochen, bis er diesem bestimmten „Sound“, den sie im Kopf hatte, entsprach. 

Sie erzählt die Geschichte einer fiktiven friesischen Insel, die in Jütland, Friesland oder Zeeland liegen kann, und der alteingesessenen Insel-Familie Sander. Sie lebt seit 300 Jahren auf der Insel, sie waren Grönlandfahrer, Walfänger. Vater Jens hat die Seefahrt aufgegeben und lebt seit 20 Jahren zurückgezogen und einsam auf einer Vogelwarte. Seine Frau Hanne dagegen scheint ruhelos zu sein, wie getrieben, bloß nicht stehenbleiben. Sie bewirtet schon immer Touristen, deren Ansprüche immer größer werden und betreut ein kleines Inselmuseum in ihrem Elternhaus, einem Kapitänshaus. Teil der Geschichte sind auch die drei Kinder der Sanders, die alle ihr eigenes Päckchen zu tragen haben.

Rykmer, der älteste Sohn, hatte ein traumatisches Erlebnis auf See, das ihn zum Alkoholiker werden ließ. Inzwischen arbeitet er als Fährmann, kennt und erzählt alle alten Sagen der Insel und glaubt fest daran, dass die Insel schon bald vom Meer verschluckt wird. Die Tochter Eske, Death-Metal-Hörerin, Anti-Tourismus-Aktivistin, betreut in einem Seniorenheim die greisen Inselbewohner, auch beim Sterben. Der jüngste Sohn Henrik ist der erste Mann in der Familie, den es nie auf ein Schiff gezogen hat. Er ist stets barfüßig am Strand unterwegs, sucht Strandgut und fügt daraus Kunstwerke für die Touristen zusammen.

Alle Familienmitglieder sind eng mit der Insel verbunden, leben aber komplett nebeneinander her. Geredet wird wenig – und das ist im ganzen Buch so. Das Leben der Familie Sander und der anderen Inselbewohner verändert sich im Laufe eines Jahres vollkommen.

Es geht in „Zur See“ um eine Zeitenwende: „Aus dieser Insel, die ganz lange von der Seefahrt geprägt war, wird eine Insel, auf der die Leute mittlerweile von Dienstleistungen leben“, sagt Dörte Hansen. „Sie kümmern sich um die Touristen, sie fahren Touristen mit den Kutschen um die Insel, sie vermieten Zimmer an ihre Gäste. Die Frage ist: Wenn die alten Gesetze und die alten Regeln nicht mehr gelten – was machen wir dann? Wie reagieren die Individuen darauf?“. Dörte Hansen beschreibt diesen Abschied von alten Gewohnheiten und die Umbrüche.

Ein letztes Zitat aus „Zur See“: „Die Leute von den Inseln waren immer hart im Nehmen. Sie haben Kälte, Seekrankheit und Heimweh ausgehalten, und auch die Ungewissheit und das Warten und die Armut. Nur den Gedanken, irgendwo im Meer versenkt zu werden, nicht. Die letzte Hoffnung war ein Grab mit einem Stein auf ihrem Inselfriedhof. […] es ist ihm unbegreiflich, wie man die Asche seiner Toten in die Nordsee kippen kann. Und ihnen dann auch noch wie einen Witz von Rettungsring so einen Kranz nachwerfen. Dass das der letzte Wille eines Menschen sein soll: als Asche von der See verschluckt zu werden, in Wasser aufgelöst wie eine Schmerztablette.“

Maren Ahring (NDR) schreibt über „Zur See“: „Es gibt sie, wenn auch nur selten. Diese Bücher, in die man sich gleich nach wenigen Sätzen rettungslos verliebt“. 

Ja! Stimmt! Unbedingt lesen!

Dörte Hansen, geboren 1964 in Husum, arbeitete nach ihrem Studium der Linguistik als NDR-Redakteurin und Autorin für Hörfunk und Print. Sie lebt mit ihrer Familie in Nordfriesland, ist Mainzer Stadtschreiberin 2022, ihr Büro liegt direkt am Husumer Hafen, vis-à-vis zum Theodor-Storm-Haus. Ihre Muttersprache ist Platt, wie sie sagt, sie hatte ihren Lebensmittelpunkt immer in Norddeutschland. Alle drei bisher erschienenen Romane sind berechtigt zu Bestsellern geworden, „Mittagsstunde“ wurde gerade erfolgreich verfilmt, auch in einer plattdeutschen Version.

Susanne Schüring-Pook

Susanne Schüring-Pook, Gemeindebüro
Susanne Schüring-Pook, Gemeindebüro

Dörte Hansen: Zur See

Hardcover mit Schutzumschlag

978-3-328-60222-4

Penguin Verlag

Herbst 2022

256 Seiten 24,00€

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