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Buchrezension: Susan Kreller: Elektrische Fische

„Der Mond sieht aus wie ein Ohr, halb schief hängt er über der finsteren Landstraße, weißer als Avonmore Milk lauscht er vom Himmel herunter, und als meine Mutter auf dem Beifahrersitz ohne Vorwarnung „Da vorn beginnt Velgow!“ sagt, ist der Mond der Einzige, der ihr richtig zuhört.“

So beginnt der neue Jugendroman von Susan Kreller.

Die Geschichte handelt von Abschied und Fernweh, von Entwurzelung und dem Verlust von Heimat. Emma und ihre Geschwister Dara und Aoife werden verpflanzt in die frühere Heimat ihrer Mutter, in das halb verlassene Dorf Velgow in Mecklenburg-Vorpommern nahe der Ostsee, dem die Mutter vor gut zwanzig Jahren entflohen ist. In Dublin hatte sie geheiratet, die drei Kinder bekommen, die Ehe war längst nicht mehr glücklich. Ihr Mann, Alkoholiker, verlässt die Familie, und da die Mutter die Kinder nicht allein versorgen kann, beschließt sie, nach Velgow in das Haus ihrer Eltern zurückzukehren. Eine Heimkehr, die zugleich eine Reise in die Fremde ist.

Sie werden vom mürrischen Großvater abgeholt und fahren durch die im Wortsinn trostlose Gegend, vorbei an alten Getreidesilos. Konsum und Kindergarten haben „dichtgemacht“, die Straße ist voller Schlaglöcher. Die etwa zwölfjährige Emma, die Erzählerin der Geschichte, sagt: „Wir waren noch gar nicht fertig.“ 

Elektrische Fische
Susan Kreller: 
Elektrische Fische
Carlsen Verlag, 
Hamburg 2019
Elektrische Fische

Hier in Velgow ist ihnen nichts vertraut. Susan Kreller lässt Emma das in vielen kleinen Alltäglichkeiten schildern: den Teebeuteln, die Bänder und Schilder haben, dem harten Brot, das ihre Mutter in Irland so vermisste, dass sie im Schulbus nicht für den Fahrer klatschen darf, wenn er einen wohlbehalten ans Ziel bringt… 

Die Kinder vermissen Dublin, die Großeltern, das Meer. Emma hat Heimweh, so sehr, dass sie sofort nach dem Ankommen beschließt, so schnell wie möglich zurückzukehren, nach Hause. Heimat ist das Thema, was ist überhaupt Heimat, kann Fremde vielleicht doch zu Heimat werden? Dabei spielt für die Kinder auch die Sprache eine wichtige Rolle. Englisch ist ihr Zuhause, darin fühlen sie sich geborgen, obwohl sie in Dublin eine deutsche Schule besucht haben. Auf den Sprachverlust reagieren sie unterschiedlich.

Die etwa neunjährige Aoife, deren Namen die deutschen Großeltern auch nach Monaten nicht korrekt aussprechen, hört einfach auf zu sprechen. Emma dagegen lernt ständig neue Wörter wie Broiler, Kaufhalle, Hühnergott. Sie sagt: “Ich bin in einem Deutsch gelandet, in dem ich mich immer wieder verlaufe“. Sie reagiert mit Verwunderung und Wut. Nur der 16-jährige Dara scheint in der Dorfclique angekommen.

Für die Nachbarin, die ständig in der Küche der Großmutter hockt und auf alles schimpft, sind sie zumindest „gute“ Ausländer. Aber die Familie müsse da etwas falsch verstanden haben, erklärt Emmas Mitschüler Levin, niemand ziehe nach Velgow, von hier ziehe man fort.

Dieser Levin hat selbst ein schwieriges Zuhause, eine psychisch kranke, die Familie terrorisierende Mutter, eine ehemalige Meeresbiologin. Die Freundschaft mit Levin hilft Emma, sich immer besser zurechtzufinden. Er hat für ihre Flucht eine Reiseroute ausgetüftelt, wie ein Teenager ohne Flugzeug nach Dublin reisen kann. Emma muss es dabei gelingen, zweimal ohne Kontrolle an Bord einer Fähre zu gelangen… Dann nimmt sie irgendwann ihren Rucksack und haut ab, erkennt aber, dass sich in diesem Dreivierteljahr hier einiges verändert hat. Und es passiert etwas, eine dramatische Lebensrettung wird nötig…

Die Autorin, selbst in Ostdeutschland geboren, hat bisher noch nie über die deutsch-deutsche Vergangenheit oder Gegenwart geschrieben. Sie sagt, in diesen Roman habe sich der Osten eingeschlichen, weil sie ihrer Emma, einer leidenschaftlichen Schwimmerin, wenigstens ein Meer zum Trost habe geben wollen. Es wurde die Ostsee.

Kreller erzählt diese bewegende Geschichte sprachlich ausgefeilt, zart und stark zugleich. Kein Wort ist zu viel. Leise poetisch beschreibt sie die Emotionen, schildert präzise die Figuren und ganz klar Emmas Blick auf die Familienmisere. Emma ist ein sensibles Mädchen, das wuchtige Sätze formuliert, aber auch alle seine Sinne intensiv spürt. 

Im Glossar werden irische Begriffe und Wendungen und auch alte DDR-Begriffe  mit witzig pointierten Texten erläutert. Auch die Rock-Bands, deren T-Shirts Levin trägt, werden vorgestellt.

Susan Kreller hat Germanistik und Anglistik (u.a. in Dublin) studiert und promovierte über deutsche Übersetzungen englischsprachiger Kinderlyrik. Sie wohnte bis Juli dieses Jahres in Bielefeld, wo alle ihre vielfach preisgekrönten Jugendbücher entstanden sind. „Elektrische Fische“ wurde u. a. mit dem Luchs-Preis der ZEIT ausgezeichnet und für den Deutschen Jugendbuchpreis 2020 nominiert. Auch ihr erster Roman für Erwachsene „Pirasol“ hat mir übrigens sehr gut gefallen.

Susanne Schüring-Pook

Susan Kreller: 

Elektrische Fische

Carlsen Verlag, 

Hamburg 2019

192 Seiten | 15,00 EUR

gebunden 

mit Schutzumschlag

empfohlen ab 12 Jahren

ISBN 978-3-551-58404-5

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