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Buchbesprechung: Charlotte Roth „als wir unsterblich waren“

1989 – Mauerfall in Berlin, in dieser tumultartigen Situation lernen sich zwei junge Menschen kennen, die ohne es zu wissen, Gemeinsamkeiten in ihrer Familiengeschichte haben.

Alexandra, genannt Alex, hat ihre Mutter früh verloren, den Vater nie gekannt und ist bei ihrer Großmutter Paula, stark nach außen abgeschirmt, aufgewachsen. Sie stellt den jungen Mann ihrer Großmutter vor, worauf diese völlig konsterniert reagiert. Wie sich später herausstellt, sieht dieser Mann einem Jungen sehr ähnlich, der schon in seiner Jugendzeit sehr unangenehm auftrat und sich während der Nazizeit äußerst regimekonform verhielt. Durch all diese verdrängten und schmerzlichen Erinnerungen erleidet Paula einen Schwächeanfall und muss ins Krankenhaus, denn gesprochen hat sie über ihre Vergangenheit niemals.

In diesem Roman wird einerseits die Geschichte von Paula, die zwei Weltkriege miterleben musste, facettenreich dargestellt, wobei ihr Freund Clemens und ihre zum Teil unglückliche Liebe zu ihm eine tragende Rolle gespielt haben. Andererseits steht im Mittelpunkt dieses Romans Alex, die Großtochter von Paula, die durch den Mauerfall in Berlin ihren Freund Oliver kennenlernt. Diese beiden Familiengeschichten stellen sich als eng miteinander verquickt heraus.

Sehr intensiv und berührend wird Paulas Leben vor dem Hintergrund der politischen Verhältnisse, die sich vor dem Ersten Weltkrieg zuspitzten, beschrieben. Sie wächst in einfachen Verhältnissen ohne Mutter auf, ihr Vater arbeitet erfolglos als Journalist. Sie kämpft sich durch, engagiert sich für unterprivilegierte Frauen und deren Rechte. Sie bekommt Einblicke in das Leben ihres Freundes Clemens, der aus wohlhabendem Hause stammt, sich jedoch von seiner Familie abwendet und als Sozialist für die Rechte der Arbeiterklasse kämpft.

Sehr anschaulich schreibt Charlotte Roth über die Zustände in dieser Zeit, die von Protestbewegungen und Gewalt stark dominiert wird. Schließlich scheitert die Arbeiterschaft an der Ungerechtigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen sich immer mehr ein Klima zur Kriegsbereitschaft verbreitet. So beginnt, ausgelöst durch die Ereignisse in Sarajevo, der Erste Weltkrieg. Die Auswirkungen des Krieges werden sehr deutlich dargestellt. Paula und Clemens überleben die schrecklichen Kriegsjahre. Aber eine unbeschwerte Zeit ist ihnen nicht vergönnt, da die historischen Ereignisse ihren Lauf nehmen. Der Einfluss der Nationalsozialisten entwickelt sich relativ schnell, bis 1939 der Zweite Weltkrieg beginnt. All diese Ereignisse, besonders die Veränderungen durch den Nationalsozialismus, Olivers Großvater war ein strammer Nazi, hatte Paula wohl total verdrängt. Sie wird von diesen Erinnerungen nun überrollt.

Charlotte Roth gelingt es sehr gut, all die Ereignisse dieser Zeit sowohl aus historischer als auch aus einer persönlichen Perspektive darzustellen.

Paula hat sich letztendlich enttäuscht und verbittert in ihrer 2. Lebenshälfte von allem zurückgezogen. Dennoch bekommt sie eine Tochter, aber sie leidet sehr daran, dass sie nicht fähig ist, eine gute Mutter zu sein. Nach dem frühen Tod ihrer Tochter zieht sie ihre Großtochter Alex auf. Sie verdrängt ihre negativen Erinnerungen total, sie sind tabu, auch für Alex, die bei ihr für ein Kind sehr abgeschirmt aufwächst und als zweite Hauptperson in diesem Roman eine tragende Rolle spielt.

Diese Zeit kann nur noch einmal aufgerollt werden, weil Alex ihre Großmutter mit ihrem Freund Oliver bekannt macht und durch dessen Erscheinung ihre Erinnerungen und viele bedeutsame Ereignisse in ihrem und Paulas Leben Revue passieren lässt. So können viele Fragen von Paula endlich beantwortet werden. Das ist wohl nur möglich, weil die Großmutter im Sterben liegt und eine Rückschau auf ihr Leben zulässt. So bekommt Alex endlich Klarheit über die Familiengeschichte, die nie thematisiert wurde, sie aber sehr stark geprägt hat.

Das alles beginnt in der Nacht des Mauerfalls zufällig in Berlin. Auch dieser Zeitpunkt ist ein historisches Ereignis, die Zeit der Wende 1989. Entscheidend ist dieses Mal die zufällige Begegnung mit Oliver. Man fragt sich, ist das wirklich ein Zufall? Letztendlich werden dadurch Antworten gefunden auf Fragen von Paula und Alex, die diese schon lange an das Leben stellten.

Dieser Roman basiert auf einem Stück Familiengeschichte der Autorin Charlotte Roth. Dadurch wird meiner Meinung nach die persönliche Geschichte auch so fesselnd und authentisch dargestellt. Es gelingt ihr, historische Ereignisse spannend und bewegend darzustellen und erreicht den Leser, sich mit einem Teil unserer Geschichte kritisch zu beschäftigen.

Ich habe dieses Buch ohne große Pausen durchgelesen, in einer Zeit, als in unserem Lande die ersten Pegida-Demonstrationen begannen und um uns herum deutliche Zeichen von Hass, Gewalt und rechten Strömungen deutlich wurden.

Es kamen immer mehr Fragen in mir auf, welche politischen Gefahren aktuell um uns herum lauern. Zwar leben wir in einer anderen Zeit, aber gibt es nicht doch deutliche Parallelen?

Mich hat dieses Buch nachhaltig beschäftigt, auch mit Blick auf die politischen Entwicklungen, die inzwischen weltweit ein Thema sind und uns wohl alle momentan beschäftigen und nachdenklich stimmen sollten. Es stellt sich die Frage, was können wir persönlich tun, damit sich Ereignisse, wie sie im Buch geschildert werden, nicht wiederholen?

Almut Bannenberg

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